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Autor(en):
L. Polster, H. Butz
Zusammenfassung:
Komplexe Systeme müssen neben weitreichenden funktionalen oft auch hohen Sicherheitsanforderungen genügen. Das rein technische Betriebsrisiko kann heute, dank gut durchdachter Systemarchitekturen und ausgereifter Prozessstandards, nahezu beliebig weit reduziert werden. Dieser Determinismus geht leider verloren, sobald Menschen in die Betriebsabläufe komplexer Systeme involviert sind. Selbst aufwändig trainierte und geschulte Operateure, die strikte Prozeduren einhalten, verursachen 70-80% aller fatalen Systemunfälle. Sie sind damit dreibis viermal tödlicher als das System, das sie bedienen. Bei untrainierten Operateuren kann dieser Faktor noch erheblich höhere Werte annehmen. Das 80:20-Verhältnis steht seit 30 Jahren wie in Stein gemeißelt. Es ändert sich auch nicht, wenn durch die technische Evolution das absolute Betriebsrisiko technischer Systeme und Anlagen immer weiter reduziert wird. Die Zementierung der Verhältnisse ist ein Phänomen, dem seit Jahren auf unterschiedliche Weise versucht wird beizukommen: durch besseres Training, andere Prozeduren, "kooperative" Automation, adaptive Mensch-Maschine-Schnittstellen, "menschlichere" Semantiken usw. - leider bisher erfolglos. Die Systeme bleiben offenbar an vielen Stellen unvereinbar mit dem menschlichen Leistungsvermögen. Wir sind der Auffassung, dass die Dominanz menschlicher Fehlerursachen unter anderem auf die unterschiedlichen Methoden der Sicherheitsanalysen bei den "technischen" gegenüber den "menschlichen" Anteilen eines Mensch-Maschine-Systems (MMS) zurückzuführen ist: während die Sicherheitsanalyse der "technischen" Seite quantitative Verfahren verwendet, erfolgt die Analyse der "menschlich" bedingten Sicherheitsrisiken weitgehend empirisch mit qualitativen Bewertungsmethoden. Nach dem Grundsatz: nur was man messen kann, kann man auch beherrschen, schlagen wir in diesem Beitrag eine Methode zur quantitativen Behandlung menschlicher Faktoren im Kontext mit der Analyse technischer Risiken von MMS vor. Das Verfahren basiert auf dem Konzept nebenläufiger Markov-Prozesse. Es liefert konkrete Werte für die Auftrittswahrscheinlichkeit von spezifischen menschlichen Fehlhandlungen. Gleichzeitig entstehen Modelle, die das menschliche Handeln im Umfeld von möglichen Fehler-korrigierenden oder auch Fehlerinduzierenden Ereignissen dynamisch beschreiben. Das Verfahren soll dazu beitragen, die Ursachen für den 80%-Anteil operativer Fehler an fatalen Systemunfällen besser zu verstehen, um so die Quote in der Zukunft auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Ein wichtiger Beitrag wird auch für die Analyse und Prognose von Fehlhandlungen untrainierter Operateure in komplexen Situationen erwartet. Diese Problematik ist weitgehend unerforscht, wird aber zunehmend relevant durch den rasanten Anstieg des Automatisierungsgrades in Kraftfahrzeugen. Der Beitrag basiert auf den Ergebnissen einer Masterarbeit, die Ende April 2014 an der University of the West of England, UWE in Bristol, UK, abgeschlossen wurde. Gegenwärtig laufen Bestrebungen, das Verfahren in bestehende Sicherheitsanalysewerkzeuge zu integrieren.
Veranstaltung:
56. Fachausschusssitzung Anthropotechnik der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt - Lilienthal-Oberth e.V.
Medientyp:
Conference Paper
Sprache:
deutsch
Format:
14,8 x 21,0 cm, 19 Seiten
Veröffentlicht:
DGLR-Bericht, 2014, 2014-01, Der Mensch zwischen Automatisierung, Kompetenz und Verantwortung; S.171-189; 2014; Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt - Lilienthal-Oberth e.V., Bonn
Preis:
NA
ISBN:
ISSN:
Kommentar:
Klassifikation:
Stichworte zum Inhalt:
antropotechnik
Verfügbarkeit:
Veröffentlicht:
2014


Dieses Dokument ist Teil einer übergeordneten Publikation:
Der Mensch zwischen Automatisierung, Kompetenz und Verantwortung